Kennen Sie das Aspirindilemma? So wie Kopfwehtabletten bei zu häufiger Einnahme selbst Kopfschmerzen verursachen können, beobachten wir in der Unternehmenswelt eine ähnliche Dynamik, wenn es um das Thema unternehmerische Resilienz geht. Wir reagieren auf die vielfältigen Stressoren, denen unsere Organisationen ausgesetzt sind – von wirtschaftlichen Turbulenzen über Fachkräftemangel bis hin zu internen Konflikten – häufig mit strukturellen Maßnahmen. Wir optimieren Prozesse, verschlanken Hierarchien, schaffen Redundanzen und implementieren agile Methoden. Alles richtig und wichtig, möchte man meinen. Doch Vorsicht! Denn Unternehmen sind soziale Systeme, keine Maschinen.
Genau hier liegt die Krux: Diese gut gemeinten Anpassungen können zusätzlichen Stress verursachen, da jede Veränderung Widerstand hervorrufen kann. Die „Stresstherapie“ wird so ungewollt zum „Stressverursacher“.
Um dieses Dilemma zu überwinden, müssen wir unseren Fokus schärfen und eine Minimumfaktorstrategie verfolgen: Stellen Sie sich ein Fass vor, dessen Wasserstand das Resilienz-Niveau symbolisiert. Das Wasser läuft immer über die niedrigste Daube hinaus – diese Daube repräsentiert den entscheidenden Minimumfaktor, an dem wir zuerst ansetzen müssen.
Nach meiner Überzeugung und gestützt auf psychologische Erkenntnisse ist dieser Minimumfaktor das psychologische Empowerment unserer Mitarbeitenden. Denn alle strukturellen Maßnahmen sind nur dann nachhaltig und ohne negative Begleiterscheinungen umsetzbar, wenn wir uns zuerst darum kümmern.
Was aber verstehen wir unter psychologischem Empowerment? Es umfasst vier zentrale und miteinander verbundene Facetten, bei denen es immer um das Erleben geht:
• Erleben von Kompetenz: Das Gefühl der Mitarbeitenden, ihre Fähigkeiten effektiv einsetzen zu können. Es geht nicht nur um objektive Kompetenz, sondern um die subjektive Wahrnehmung, diese auch entfalten zu dürfen.
• Erleben von Einfluss: Die Möglichkeit, im Unternehmen etwas zu bewegen und mitzugestalten. Mitarbeitende möchten einen Unterschied machen und ihren Beitrag leisten.
• Erleben von Selbstbestimmung: Entscheidungsfreiheit im eigenen Arbeitskontext, insbesondere in Bezug auf Ort und Zeit. Flexible Arbeitsmodelle spielen hier eine wichtige Rolle.
• Erleben von Sinn und Bedeutsamkeit: Die Arbeit als sinnstiftend und wichtig wahrzunehmen. Wenn Mitarbeitende den Wert ihrer Tätigkeit erkennen, sind sie intrinsisch motiviert.
Diese vier Facetten sind nicht beliebig gegeneinander aufwiegbar, sondern bedingen sich gegenseitig. Ein stark ausgeprägter Sinn in der Arbeit kann beispielsweise fehlende Selbstbestimmung nicht vollständig kompensieren.
Die Rolle der Führung ist hierbei entscheidend. Nur Führungskräfte, die selbst Empowerment erleben, können andere empowern. Dieser Prozess muss top-down im Unternehmen verankert werden.
Auf dem Weg zu mehr Empowerment sind bestimmte Haltungen unerlässlich:
• Mensch vor Struktur: Bei Entscheidungen müssen die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden priorisiert werden.
• Wertschätzung der Mitarbeitenden: Es gilt, die individuelle „Sprache der Wertschätzung“ jedes Einzelnen zu verstehen und anzuwenden. Ein standardisiertes Lob reicht oft nicht aus.
• Abkehr von Kontrolle und Micromanagement: Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden ist essenziell.
Das Messen von Empowerment ist möglich, beispielsweise durch das Einbinden der vier Facetten in Mitarbeitergespräche oder mithilfe wissenschaftlicher Fragebögen. Einen kostenlosen Online-Fragebogen gibt es hier.
Coachende Führung unterstützt Empowerment maßgeblich. Führungskräfte definieren einen klaren Rahmen für den Handlungsspielraum ihrer Mitarbeitenden und begleiten sie innerhalb dieses Rahmens durch Fragen und Reflexionsanstöße, anstatt ständig einzugreifen.
Die Investition in psychologisches Empowerment zahlt sich aus. Studien zeigen einen klaren Zusammenhang mit höherer Arbeitszufriedenheit, gesteigerter Leistung, stärkerer Motivation und einer engeren Bindung ans Unternehmen. In Zeiten von Fachkräftemangel ist dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus führt Empowerment zu mehr Engagement, Innovationsverhalten und einer verbesserten psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden, was letztendlich die unternehmerische Resilienz als Ganzes stärkt. Denn Mitarbeitende, die sich empowered fühlen, gehen positiver mit Veränderungen um.
Auch wenn psychologisches Empowerment den notwendigen ersten Schritt darstellt, ist es natürlich nicht die einzige Maßnahme zur Stärkung der Resilienz. Doch es bildet das fundamentale Fundament, auf dem alle anderen strukturellen Bemühungen nachhaltig und wirkungsvoll aufbauen können.
Lassen Sie uns gemeinsam das Aspirindilemma überwinden und unternehmerische Resilienz von innen heraus stärken – indem wir uns zuerst um das psychologische Empowerment unserer wertvollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern.
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