Konflikte sind ein unvermeidbarer Teil menschlicher Interaktionen – sei es im beruflichen Umfeld, in der Familie oder im Freundeskreis. Doch ob ein Konflikt destruktiv eskaliert oder eine Gelegenheit zur Weiterentwicklung bietet, hängt maßgeblich davon ab, wie die beteiligten Personen miteinander umgehen. Eine Schlüsselrolle spielt hier das Zuhören – nicht, um zu reagieren oder zu widersprechen, sondern um wirklich zu verstehen. Genau hier setzt eine interessante Methode aus dem Konfliktcoaching an, die aus der narrativen Therapie stammt: die sogenannte Definitional Ceremony (oder auch Outsider Witnesses).
Zuhören neu entdecken
Führungskräfte kennen die Herausforderung nur zu gut: In Konfliktsituationen möchten beide Seiten ihre Perspektive durchsetzen. Aktives Zuhören gerät dabei oft in den Hintergrund. Ein zentraler Schritt dieser Methode besteht darin, die Kunst des Zuhörens gezielt zu fördern. Fragen Sie sich zum Beispiel: Wer in Ihrem Leben ist wirklich ein guter Zuhörer? Welche spezifischen Verhaltensweisen machen dessen Zuhören so besonders? Auf diesen Eigenschaften lässt sich aufbauen, indem Sie sich beim Zuhören in einer Konfliktsituation bewusst an dieser Person orientieren.
Der Dialogprozess
In einem strukturierten Gespräch übernehmen zwei Personen unterschiedliche Rollen – ein Erzähler (A) und ein Zuhörer (B), wobei die Rollen im weiteren Verlauf gewechselt werden. Der Erzähler beschreibt die für ihn relevanten Aspekte des Konflikts, beispielsweise welche Veränderungen ihn belasten oder welche Werte und Überzeugungen in Frage gestellt werden. Währenddessen hört der Zuhörer (anders als gewohnt) nicht wertend oder mit einer Antwort im Hinterkopf zu, sondern mit dem Ziel, die Geschichte wirklich zu begreifen.
Besonders inspirierend wird dieser Austausch in der Reflexion: Der Zuhörer fasst zusammen, was ihn berührt hat, welche Wendungen ihm wichtig erschienen und welche Resonanz die Geschichte in ihm selbst entfaltet. So wächst ein gemeinsames Verständnis, und neue Perspektiven auf scheinbar festgefahrene Konflikte entstehen.
Der Prozess des „definitional ceremonies“
Einführung und Einwilligung:
Beginnen Sie, indem Sie den Prozess erklären und fragen, ob die Beteiligten bereit sind, sich darauf einzulassen. Stellen Sie sicher, dass alle Beteiligten verstehen, was von ihnen erwartet wird.
Rollenverteilung:
Fragen Sie, wer zuerst seine Geschichte erzählen möchte (A) und wer zuerst zuhören möchte (B). Bestätigen Sie, dass die Rollen später getauscht werden.
Stärkung des Zuhörens:
Fragen Sie B, wer in seinem Leben ein wirklich guter Zuhörer ist. Lassen Sie B spezifisch beschreiben, was diese Person als Zuhörer gut macht. Fordern Sie B auf, wie diese Person zuzuhören. Wenn B bemerkt, dass er aus dieser Haltung fällt, soll er den Moderator benachrichtigen, damit eine Pause eingelegt werden kann.
Interview mit A:
Interviewen Sie A darüber, was ihm wichtig ist. Fragen Sie, was sich in der Beziehung zwischen A und B geändert hat. Hat sich etwas bei A geändert, sodass Dinge, die früher akzeptabel waren, jetzt nicht mehr funktionieren? Was ist A in dem Konflikt wichtig und wo hat er gelernt, dass dies wichtig ist?
Rückmeldung von B:
Nach dem Interview bitten Sie B, die Geschichte von A nachzuerzählen. Was ist B aufgefallen? Welche Worte von A haben bei B einen Nerv getroffen? Wie klingt die Geschichte bei B nach? Welche Auswirkungen wird das Zuhören auf Bs Leben haben?
Interview mit A über Bs Rückmeldung:
Interviewen Sie A über die Rückmeldung von B in ähnlicher Weise.
Rollenwechsel:
Wiederholen Sie die Schritte 2 bis 6, wobei A und B die Rollen tauschen.
Reflexion und Abschluss:
Nach beiden Interviews fragen Sie, was für beide Parteien herausgekommen ist. Welche neuen Erkenntnisse gibt es? Was ist jetzt möglich geworden?
Was macht diese Methode so effektiv?
Dieser Ansatz ist nicht nur ein Werkzeug, um Missverständnisse zu klären. Er erweitert das Bewusstsein beider Parteien: Zuhörer und Erzähler gewinnen Einsichten über sich selbst und den anderen. Führungskräfte, die sich mit solchen Techniken auseinandersetzen, entwickeln eine wertvolle Fähigkeit, Konflikte konstruktiv zu moderieren und Beziehungen nachhaltig zu stärken.
Wer tiefer in diese und ähnliche Techniken einsteigen möchte, findet in den Werken von Michael White und David Epston spannende Ansätze, um die narrative Dimension von Konflikten besser zu verstehen und produktiv zu nutzen.