Was ich als Coach mit Klienten mache, die negativ beurteilt wurden

Negative Leistungsbeurteilungen von Mitarbeitenden sind immer wieder Anlass für Coachings oder spielen zumindest begleitend eine Rolle. So werden beispielsweise Führungskräfte von ihren Vorgesetzten ins Coaching geschickt, weil sie in einer Leistungsbeurteilung schlecht abgeschnitten haben. Wie geht man als Coach damit konstruktiv und wertschätzend um?

Zunächst einmal finde ich bemerkenswert, dass meine Coachees mit einer negativen Leistungsbeurteilung sehr unterschiedlich umgehen. In seiner Praxis habe ich über viele Jahre hinweg die folgenden Reaktionsmuster beobachtet:

  • Coachees, die das Ergebnis der Leistungsbeurteilung ablehnen und sich in ihrem aktuellen Verhalten sehr sicher fühlen: „Ich sehe das alles ganz anders. Meine Leistung ist viel besser, als in der Leistungsbeurteilung beschrieben. Ich sehe bei mir keinen Veränderungsbedarf. Für mich passt es gut so, wie es ist.“ Selbst- und Fremdbild sind konträr zueinander.
  • Zustimmung zum Ergebnis der Leistungsbeurteilung durch den Coachee: „Ich fühle mich fair beurteilt und teile die Einschätzung, dass ich mich verbessern sollte. Ich will daran arbeiten und sehe Beurteilung und Coaching als Chance für mich. Packen wir es an…“
  • Zweifel beim Coachee, die mit Verunsicherung einhergehen: „Verhalte ich mich wirklich so, wie in der Leistungsbeurteilung beschrieben? Komme ich bei anderen wirklich so rüber?“
  • Starke Stressreaktionen beim Coachee: „So kritisch werde ich von meiner Chefin gesehen? Da ist ja furchtbar. Muss ich jetzt Angst um meinen Arbeitsplatz haben? Will sich mein Arbeitgeber von mir trennen?“

Nachfolgend beschreibe ich Interventionsansätze im Coaching, die sich in meiner Praxis als hilfreich erwiesen haben und die ich in Beziehung zur Förderung von Wertschätzung setzen möchte.

Beschreibung von Coachinginterventionen bei schlechter Leistungsbeurteilung

Relativierungen

Bei Zweifeln und starken Stressreaktionen haben sich Relativierungen als hilfreich erwiesen. Relativierende Formulierungen gegenüber dem Coachee könnten beispielsweise sein: „Ich habe immer wieder Coachees bei mir, die erstmal eine gewisse Verunsicherung erleben. Aus meiner Sicht ist es völlig normal, dass eine negative Leistungsbeurteilung mit Sorgen und Zweifeln einhergeht. Das ist eine typische Situation, die immer wieder vorkommt.“ Der kritischen Leistungsbeurteilung soll so ihre Dramatik genommen und der Coachee zur Perspektive eingeladen werden, dass er sich in einer normalen Situation befindet, die bearbeitbar ist. Auf der Basis von viel Empathie durch den Coach kann es gelingen, dass Coachees ihre Perspektive auf die negative Leistungsbeurteilung verändern. So entstehen beispielsweise die folgenden Sichtweisen: „Meine Chefin finanziert mir das Coaching, weil sie davon überzeugt ist, dass ich mich verbessern kann. Andere waren schon in einer ähnlichen Situation und konnten von einem Coachingprozess profitieren.“ Solche Veränderungen in den Sichtweisen schaffen dann die Basis, um in einen Veränderungsprozess einzusteigen.

Multidimensionale Skalierung des Selbstbildes

Lehnen Coachees das Ergebnis ab, dann nutze ich gerne multidimensionale Skalierungen, um mit dem Coachee in einen Arbeitsmodus kommen zu können: „Was muss denn eine Führungskraft in ihrer Position alles gut können?“ Durch diese Frage angeregt entwickeln Coachees in der Regel zwischen 10 und 20 Dimensionen, die aus Schicht des Coachees wichtige Leistungsdimensionen auf ihrer Stelle beschreiben. Dabei wird bewusst nicht auf die eigentliche Leistungsbeurteilung abgehoben, sondern auf die persönliche Sicht des Coachees. Im zweiten Schritt wird durch den Coachee die Skalierung vorgenommen: „Wenn Sie jetzt diese 10 Dimensionen hernehmen und sich selbst jeweils auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen, wobei 10 bedeutet, dass keine Verbesserungen mehr möglich sind, zu welchen Werten kommen Sie dann?“ Dadurch ergab sich in den bisherigen Coachings stets ein differenziertes Bild. Häufig bewegen sich die Einschätzungen auf der Skala von 5 bis 9. Für den Coachee wird transparent, dass es bei seiner Arbeit eine ganze Reihe an relevanten Dimensionen gibt, bei denen er selbst unterschiedliche Ausprägungen bei sich wahrnimmt. Es wird deutlich, dass Verbesserungen möglich sind.

Eigenverantwortung bei der Wahl der Veränderungsbereiche

Im nächsten Schritt entscheidet der Coachee ob und bei welcher Dimension er oder sie an einer Verbesserung arbeiten möchte: „Wenn Sie sich ihre Selbsteinschätzung nun anschauen. Bei welcher Dimension würden Sie sich gerne verbessern wollen?“ In der Regel schaffen diese Überlegungen eine gute Grundlage für das weitere Coaching, wobei die Entscheidung, ob und in welchem Bereich der Coachee an einer Verbesserung arbeiten möchte, durchgängig beim Coachee belassen wird. Das so erarbeitete Selbstbild kann mit dem Fremdbild aus der Leistungsbeurteilung abgeglichen werden. Das ist jedoch nicht immer notwendig. Auch wenn der Veränderungsprozess dann relativ losgelöst von der eigentlichen Leistungsbeurteilung stattfindet, können Verbesserungen in Gang kommen, die in der Regel Aspekte betreffen, die auch die Beurteiler als erwünschte Effekte wahrnehmen.

Die Sichtweise des Coachees ernst nehmen

Es geht im Coaching nicht darum den Coachee von der Richtigkeit einer schlechten Leistungsbeurteilung zu überzeugen. Die Beurteilung ist der Anlass des Coachings, jedoch nicht der eigentliche Inhalt. Es ist nicht die Aufgabe des Coaches dem Coachee die Beurteilung zu erklären und mit ihm daran zu arbeiten, dass er diese für sich als wahr annehmen kann. Der Coachee entscheidet, was er aus der Leistungsbeurteilung für sich machen möchte: Was erscheint ihm besonders relevant? Woran möchte er arbeiten? Der Coach ist an diesen Sichtweisen und Entscheidungen des Coachees maximal interessiert.

Starke Lösungsorientierung

Auch bei sehr schlechten Leistungsbeurteilungen gibt es in der Regel Aspekte, die vom jeweiligen Vorgesetzten positiv bewertet werden. Diese können und sollten gewürdigt werden: „Ihre Leistungsbeurteilung zeigt doch sehr deutlich, dass Ihnen einiges bei Ihrer Arbeit wirklich gut gelingt. Vor diesem Hintergrund ist es doch sehr plausibel, dass Sie sich auch in den anderen Bereichen verbessern können.“ Auch bei kritikwürdigen Bereichen sind in aller Regel bereits gute Ansätze vorhanden. Diese werden im Coaching maximal ausgeleuchtet und genutzt: Was ist schon da? In welchen Situationen tritt das gewünschte Verhalten auf? Wie kann es gelingen, dieses Verhalten wahrscheinlicher zu machen? Mit welchen Schritten kommt der Coachee in der Bewertungsskala einen oder zwei Punkte vorwärts?

Die nützlichen Anteile in negativen Bewertungen sichtbar machen

Verhalten, das von Vorgesetzten als verbesserungswürdig wahrgenommen wird, kann in bestimmten Situationen sehr hilfreich sein. Bekommt beispielsweise ein Verkäufer in seiner Leistungsbeurteilung das Feedback, dass er in Kundengesprächen sehr zurückhalten sei und den Kunden aktiver beraten solle, so kann herausgearbeitet werden in welchen Situationen sein bisheriges Verhalten nützlich ist und beibehalten werden kann. So ist denkbar, dass in manchen Verkaufssituationen eine stark zuhörende Haltung nützlich ist. Es kann herausgearbeitet werden, wie die vermeintliche Schwäche in gewissen Kontexten nutzbringend eingesetzt werden kann, während für andere Situationen an einer Erweiterung des Verhaltensrepertoires gearbeitet wird.

Veränderungsmotivation maximal unterstützen

Wenn es Coachees gelingt in eine Haltung zu kommen, die es Ihnen ermöglicht die Leistungsbeurteilung und das Coaching als Chance zu begreifen, dann ist es wichtig, diese Haltung stark zu würdigen und zu verstärken: „Ich finde es bewundernswert, wie sie das Thema anpacken und an der Beurteilung wachsen wollen. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Coachees mit dieser Grundhaltung sich sehr gut verbessern konnten. Kompliment, wie viele Ideen Sie haben, wie Sie sich verbessern können.“ Auf dieser Basis kann dann die Frage in den Mittelpunkt gerückt werden, was konkret anders werden soll.

Wertschätzung fördern im Coaching

Leistungsbeurteilungen sind für Beschäftige ein sehr bedeutsames Ereignis. Wenn in einer jährlichen Leistungsbeurteilung die zurückliegenden 12 Monate bilanziert und das Verhalten und die Resultate möglicherweise mit Zahlen beurteilt und in einem Beurteilungsgespräch kommentiert werden, so sind Effekte auf das berufliche Selbstbild der Beurteilten wahrscheinlich. Es ist anzunehmen, dass schlechte Leistungsbeurteilungen eine starke Bedrohung des Selbstwertes darstellen. Je nachdem wie die schlechte Beurteilung kommunikativ vermittelt wird ist das Erleben von Abwertung wahrscheinlich. Die hier beschriebenen Überlegungen zu Coaching bei schlechter Leistungsbeurteilung erscheinen uns geeignet zu sein, um erlebte Abwertungen zu reduzieren und sogar Wertschätzung zu vermitteln. Wenn beispielsweise ein Coach den Mut seines Coachees würdigt sich der Situation zu stellen und an Veränderungen arbeiten zu wollen, so können dies wichtige wertschätzende Signale für den Coachee sein. So kann der Selbstwert geschützt oder sogar gefördert werden.

Anregungen für die Umsetzung in die Praxis

Wenn in Organisationen Mitarbeitern ein externes Coaching zum Umgang mit kritischer Leistungsbeurteilung angeboten wird, dann sollten die folgenden Punkte beachtet werden:

  • Eine ordentliche Auftragsklärung ist gerade bei negativer Leistungsbeurteilung als Coachinganlass besonders wichtig. In der Auftragsklärung zwischen Coachee, Führungskraft und Coach (in einigen Organisationen auch unter Mitwirkung der Personalentwicklung) sollte die Sichtweise der Führungskraft möglichst ehrlich eingebracht werden: Welches Verhalten hält die Führungskraft für verbesserungswürdig? Was veranlasst sie, ihrem Mitarbeiter ein Coaching vorzuschlagen? Wenn an dieser Stelle Beweggründe verschwiegen oder Kritikpunkte nur vage angedeutet werden, dann wird zielführendes Coaching erschwert. Im schlimmsten Fall tappt der Coachee im Dunkeln und weiß gar nicht so recht, was von ihm gewünscht wird.
  • Gerade bei negativen Leistungsbeurteilungen kann es in der Praxis vorkommen, dass Vorgesetzte einem Mitarbeiter ein Coaching vorschlagen, obwohl sie für sich bereits die Entscheidung getroffen haben, sich trennen zu wollen. Das Coaching mag dann dazu dienen, ein möglicherweise schlechtes Gewissen der Führungskraft zu beruhigen: „Ich muss mir nichts vorwerfen. Ich habe bis zum letzten Tag alles probiert und sogar noch ein Coaching eingeleitet“. In solchen Fällen ist ein Coaching in der Regel sinnlos. Ein Coaching sollte nur dann eingeleitet werden, wenn beim Arbeitgeber der Wunsch besteht mit dem Mitarbeiter weitarbeiten zu wollen. Ansonsten kann Outplacement-Beratung ein sinnvolles Instrument sein.
  • Unabhängig von Coachingangeboten empfehle ich einige grundsätzliche Punkte zum Umgang mit einer schlechten Leistungsbeurteilung:
    • Sich die Leistungsbeurteilung mit einem gewissen inneren Abstand anschauen. Es handelt sich um ein Fremdbild, das sicher nur einen Ausschnitt des Geleisteten abbildet. Je nach Qualität des Verfahrens können die Aussagen mehr oder weniger valide sein.
    • Die Leistungsbeurteilung differenziert anschauen: Welche Punkte kann ich gut nachvollziehen? Womit kann ich mich identifizieren? Welche Einschätzungen sind für mich wertvoll, auch wenn ich sie auf den ersten Blick vielleicht als schmerzhaft erlebe?
    • Die Leistungsbeurteilung als Chance zur Verbesserung begreifen: Bei welchen Themen möchte ich mich verbessern? Wie könnte ich das angehen? Welche Tipps würden mir womöglich Außenstehende (z.B. gute Kolleginnen und Kollegen) dazu geben?

Feedback zum Tool

Im Coaching kann es gelingen, dass Coachees mehr Verständnis für die Perspektive des Beurteilers entwickeln und ebenso auch umgekehrt, dass Führungskräfte mehr Verständnis für das Verhalten des Coachees entwickeln. Häufig gelingt es im Coaching auch, die Veränderungsmotivation zu stärken, Verunsicherung und Stresserleben gehen zurück und es resultieren für alle wahrnehmbare Verbesserungen. Allerdings habe ich auch Coachees begleitet, die vor dem Hintergrund stark eingefahrener Verhaltensmuster, bestimmter Persönlichkeitseigenschaften oder aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten die gewünschten Verbesserungen nicht erreichen konnten. Manchmal waren dann Trennungen die Konsequenz.

 

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CHRISTOPH SCHALK

MASTER COACH & PSYCHOLOGE

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